Das grundsätzlich Böse, Aggressive und Abgründige in Anne Clarks Gitarrenspiel führt wohl bis zurück in College-Zeiten, als sie in ihrer Noise Band-Skull Fuckers die Saiten bearbeitete. Als St. Vincent spürt man auf ihrem siebten Album „All Born Screaming" (Virgin) genau das. „Ich stehe auf der Schwelle zwischen Leben und Tod, und ich versuche damit klarzukommen", so Clark, die ihre Mischung „Post-Plague-Pop" nennt. Es ist das erste Studioalbum, das Clark komplett selbst produziert hat: „Bei dem hier musste ich einfach ganz allein durch die Flammen gehen", betont sie. „Anders hätte diese Suche zu nichts geführt. Ich musste allein mit mir selbst in einem Raum sitzen, drauflos singen, mit modularen Synthesizern herumspielen, Knöpfe drehen, Stromflüsse umleiten, und dann diese sechs Sekunden ausfindig machen, in denen alles passt – um daraus dann einen ganzen Song zu bauen. Ich bin regelrecht besessen, was Produktionen angeht. Natürlich habe ich das bei all meinen anderen Platten auch schon gemacht, aber dieses Mal wollte ich sowohl der allererste als auch der finale Filter sein, durch den das Material geht. Was auch bedeutet, dass ich mit all meinen Selbstzweifeln ganz alleine dasaß." Dazu hat sie „ein kleines, eingeschworenes Abrisskommando" hinzugezogen, z.B. Dave Grohl am Schlagzeug, Justin Meldal-Johnsen (Bass), Rachel Eckroth (Keys), David Ralicke (Blasinstrumente), Mark Giuliana (Schlagzeug), Stella Mozgawa von Warpaint (Schlagzeug) und Cate Le Bon (Bass). „Ich habe vermutlich einen ziemlich großen Umweg genommen, um das mit dieser Platte zum Ausdruck zu bringen, aber letzten Endes ist es ein sehr düsteres Album über die Liebe. Da ist so viel Liebe in meinem Leben. Ich bin echt glücklich. Was das angeht, bin ich nicht mehr die Ratte im Labyrinth." Zwischen spiritueller Verzweiflung und schwärmerischer Akzeptanz hält einen das Album gut auf Trab. „Wenn du schreiend geboren wirst, ist das ein großartiges Zeichen", sagt Clark, „denn es bedeutet, dass du atmest. Du bist lebendig. Mein Gott! Es ist ein Glücksgefühl. Und dann ist es auch ein Protest. Wir alle werden in gewisser Weise unter Protest geboren. Es ist erschreckend, am Leben zu sein, es ist ekstatisch, am Leben zu sein. Es ist alles."

Jürgen Parr