Mal ehrlich

„Lars, mein Freund" von Iben Akerlie, aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger, dtv, 252 S., 12,95 Euro (ab 10 J.)

Ungewöhnlich reif für ihr Alter sei Amanda, sagt die Lehrerin. Weshalb sie sie mit einer besonderen Aufgabe betraut: Amanda soll Patin des neuen Mitschülers Lars sein. Und nicht wie alle anderen in der Klasse die Patin eines süßen Erstklässlers – dabei hatte Amanda auf das beliebte Ehrenamt schon seit Monaten hin gefiebert. Was ihr als großes Geschenk verkauft wird, ist für sie eine große Enttäuschung.
Warum Lars eine Patin bekommen soll? Er hat das Down-Syndrom und braucht voraussichtlich mehr Zeit und Hilfe, um sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. „Toll!" jubeln Amandas Eltern, als sie von der Neuigkeit erfahren. Das sei eine Erfahrung, an der Amanda wachsen könne. Und niemand will bemerken, dass Amanda Angst vor der Herausforderung hat, dass ihr die herausgehobene Position unangenehm ist und dass sie sich für Lars' Verhalten auch manchmal schämt.
Und genauso will keiner der Lehrkräfte bemerken, wie Lars von einigen in der Klasse subtil gemobbt wird. Und wie Amanda als Opfer zwischen die Fronten gerät. Amanda wiederum nimmt sehr genau wahr, wie unsicher die Erwachsenen selber im Umgang mit Lars sind und wie schlecht sie das zu überspielen versuchen.
Iben Akerlies inzwischen mit einigen Auszeichnungen bedachter Debütroman beeindruckt vor allem durch seinen ehrlichen Blick. Amanda fühlt, was andere in ihrer Situation genauso fühlen würden. Auch wenn sie weiß, dass es nicht das ist, was sie eigentlich fühlen soll. Die Anschaulichkeit und die Echtheit der Emotionen berühren den Leser von Beginn an. Kleine Alltäglichkeiten entfalten in dieser Freundschaftsgeschichte eine große Dramatik.

Udo Bartsch