„Die letzte Reise der Meerjungfrau" von Imogen Hermes Gowar, Lübbe, 556 S., 20 Euro
„The Mermaid and Mrs. Hancock", dessen vollständiger deutscher Titel „Die letzte Reise der Meerjungfrau oder wie Jonah Hancock über Nacht zum reichen Mann wurde" lautet, ist das Romandebüt von Imogen Hermes Gowar. Die Britin hat Archäologie, Anthropologie und Kunstgeschichte studiert, arbeitete in mehreren Museen und erhielt schließlich ein Stipendium an der University of East Anglia, wo sie die Ursprungsfassung von „Die letzte Reise der Meerjungfrau" als Abschlussarbeit niederschrieb. 2016 lieferten sich dann mehrere britische Verlage einen Bieterwettstreit um die Rechte am fertigen Roman, der im Großraum London zurzeit von König George III. einsetzt. Gowar lässt diese von ebenso viel Schick wie Schmutz geprägte Epoche scheinbar mühelos lebendig werden, während sie das Schicksal eines verwitweten Kaufmannes und eines Freudenmädchens verknüpft. Getragen wird die überraschend packende und süffige Story von starken Figuren und Gowars Stilsicherheit. Trotz der sprachlichen Finesse durchleuchtet sie gnadenlos die moralische Ökonomie des 18. Jahrhunderts. Gowars Frauenfiguren sind Kupplerinnen, Huren, Dienstbotinnen oder strenge Verwandte. Haushalten in der ländlichen Vorstadt stehen Edelbordelle in der unerbittlichen City gegenüber, und verbunden wird all das durch Ambition, Obsession und eine kolossale gesellschaftliche Doppelmoral. Den Aufhänger mit der Meerjungfrau löst Gowar praktisch und metaphorisch auf elegante Weise. Ihr Erstling zieht deshalb nicht nur Fans historischer Romane in seinen Bann. Die Einzigen, die das schön aufgemachte Buch enttäuschen könnte, sind Leser, die ein fantastisch-historisches Märchen erwarten, in dem sich ein Händler in eine Meerjungfrau verliebt. Aber das ist wohl der Unterschied zwischen klassisch und historisch bzw. fantastisch und märchenhaft. Fantastisch ist dieser Roman dennoch.
Christian Endres
Stand: 12.06.2018
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