Brutales Abenteuer

„Nordwasser", von Ian McGuire, mare, 304 S., 22 Euro

Dank „Moby Dick" hat der Walfang einen festen Platz innerhalb der Weltliteratur. Ian McGuire setzt in seinem Roman „Nordwasser", der im 19. Jahrhundert angesiedelt ist, ebenfalls ganz auf die Tradition des rauen Abenteuers, in dem Moral und Gewalt eine wichtige Rolle spielen. Auf dem englischen Walfangschiff Volunteer, das in arktische Gewässer aufbricht, versammelt McGuire dafür viele fragwürdige Typen. Den amora-lischen Mörder und Harpunier Henry Drax etwa; oder den irischen Schiffsarzt Patrick Sumner, der in der Schlacht um Delhi Schreckliches erlebte und seither dem Opium verfallen ist. McGuire macht die Volunteer zum Dreh- und Angelpunkt mehrerer skrupelloser Verbrechen, für deren Klärung man allerdings nicht gerade einen Sherlock Holmes braucht (übrigens heuerte dessen Schöpfer Sir Arthur Conan Doyle in jungen Jahren selbst einmal auf einem Walfänger an). McGuire schont weder seine Figuren, noch seine Leser. Ob der 1964 geborene Engländer den harten Kampf mit dem Meer und den Tieren beschreibt, die animalischen Gewalttaten eines Mannes oder die allgegenwärtige Gnadenlosigkeit des Nordens, von der Sumner und Co. mehr sehen und spüren, als ihnen lieb ist: McGuires Sprache ist dabei so klar wie die Luft der Arktis und so derb wie die Seeleute. Dass die groben Szenen und Sätze auch im Deutschen kraftvoll klingen, ist der Verdienst von Joachim Körber. Der übersetzte bereits Stephen King und Fritz Leiber aus dem Englischen und bewies z. B. mit seinen Übertragungen der Werke des großartigen William Gay, dass er die sprachliche Kombination aus urgewaltiger Natur und gewaltbereitem Mensch gut beherrscht. Wer auf ein romantisches Leseabenteuer aus ist, den wird „Nordwasser" in seiner Brutalität sicher abschrecken – alle anderen erwartet ein rauer und eisbärenstarker Roman, der sich selbst keine puritanischen Fesseln anlegt.

Christian Endres