Film
 

„Alle meine Figuren sind feige!"

Interview mit Leander Haußmann zu „Stasikomödie"


Er galt als das Theater-Wunderkind aus dem Osten, „Theater Heute" kürte ihn anno 1991 zum besten Nachwuchsregisseur, vier Jahre später avancierte Leander Haußmann in Bochum zum jüngsten Bühnenintendanten des Landes. Detlev Buck engagierte ihn als Gefängnisdirektor für seine „Männerpension". Mit seinem Kinodebüt „Sonnenallee" feierte Haußmann große Erfolge. Als zweiter Streich folgte „Herr Lehmann" mit Christian Ulmen. Nach seiner Satire über die „NVA" erklärte er dem Publikum „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken". Nun widmet sich Haußmann wieder der DDR und erzählt im letzten Teil seiner Trilogie mit der „Stasikomödie" eine überdrehte Farce auf die Staatssicherheit. Mit Leander Haußmann sprach Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Herr Haußmann, Ihre Großmutter war mit Hermann Hesse verheiratet. Was verbindet Sie mit dem „Steppenwolf"-Autor?
Haußmann: Meine Großmutter war Schweizerin und drei Jahre mit Hermann Hesse verheiratet. Vor kurzem entdeckte ich das schöne Buch „Hesses Frauen", in dem meine Großmutter viel Platz bekommt. Für meinen Großvater war das nicht so schön, besonders im Hesse Jahr 1977 erzählte meine Großmutter ständig von ihrem ersten Ehemann. (Lacht). Diese Ehe bliebt kinderlos - falls sie überhaupt je vollzogen wurde. Meine Oma ließ sich jedenfalls scheiden, weil Hesse nie mit ihr schlief.
Doppelpunkt: Das Überqueren einer Ampel wird zum zentralen Element in der „Stasikomödie". Wie halten Sie es selbst mit dem roten Ampelmännchen? Brav stehen oder trotzig gehen?
Haußmann: Bei Rot über die Straße zu gehen, ist mein kleiner Rest Rebellion, den ich mir erhalten habe aus der guten alten Zeit im Prenzlauer Berg. Früher gehörte es einfach zum guten Ton, bei Rot nicht zu warten, wenn die Straße leer ist. „Stasikomödie" ist keine Geschichte über die DDR an sich, sondern es geht um unser Verhalten, unsere Feigheit und die Gläubigkeit den Regeln gegenüber, selbst wenn sie ganz offensichtlich falsch sind. Die Ampel ist das Symbol von Anpassung.
Doppelpunkt: Abgesehen von der Lektion Ampelmännchen, was wären Ihre weiteren Anliegen mit dem Film?
Haußmann: Kommt mal alle von eurem hohen Ross herunter! Von wegen, ich wäre nicht bei der Stasi gewesen. Oder: Ich wäre ein Held gewesen. Unsere Medienwelt teilt die DDR im Nachhinein nur in Opfer und Täter ein. Das ist aber leider nicht der Prozentsatz, der irgendwie durch den Alltag gekommen ist.
Doppelpunkt: Es war nicht alles schlecht?
Haußmann: Das ist so ein provokanter Satz von Ihnen, aber es gibt keinen Grund für mich irgendwas an diesem System gut zu finden. Für mich und meine Familie war das ein ziemlich unangenehmes System, das uns wie der Berliner sagt, ganz schön auf dem Kieker hatte. Aber zumindest das Steuersystem war übersichtlicher: 20 Prozent und Punkt. Es gab nur eine Krankenversicherung für alle. Das grüne Buch. Andererseits, wer einmal im Osten beim Zahnarzt war... Schmerzpatienten am Wochenende wurde der Zahn prinzipiell gezogen. Das System der Polikliniken und Kindergärten hat aber ganz gut funktioniert, glaube ich. Nehmen Sie die Kinderkrippen. Frauen waren schnell wieder Berufs und arbeitsfähig. Damit sie schnell wieder für den Aufbau des Sozialismus eingesetzt werden können. Losgelöst von der Ideologie, wären durchaus einige Ideen überlegenswert und ausbaufähig gewesen.
Doppelpunkt: Ihre Devise lautet, Filme zu machen, die es so noch nie gab. Mangelt es dem Kino an Originalität?
Haußmann: Oh ja. Manchmal ist es aufregend und wirklich immer riskant sich in unentdecktes Land vorzuwagen. Der Kinomarkt wird schließlich zu 80 Prozent von Remakes und Spin Offs dominiert. Da muss man lange suchen, um jemanden zu finden, der das Projekt finanziert.
Doppelpunkt: Wäre eine Komödie über den BND oder die CIA nicht relevanter gewesen als über einen Geheimdienst, der nicht mehr existiert?
Haußmann: Interessant. Über die CIA und den MI 6 gibt es eine Unmenge an Komödien, selbst über die Nazis und die Gestapo. Weil deren verbrecherischen Aktivitäten von der Ideologie gedeckelt werden. Selbst eine Lizenz zum Töten, weltweit scheint gedeckelt zu sein. Nur bei dem Thema Stasi werden alle so schmallippig. Und ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass dies eine Komödie ausschließlich über die Stasi ist...
Doppelpunkt: ...der Titel lautet immerhin so!
Haußmann: Komödie ist die Urform der Erzählung. Sie ist die Tragödie mit Aussicht auf ein gutes Ende. Auch wenn man es dem Zuschauer manchmal vorenthalten muss. Sie bedeutet, oft typisierte Charaktere, die wir zu kennen scheinen. Die für uns einen Leidensweg gehen. Bei Dantes „Göttliche Komödie schlagen wir uns ja auch nicht ununterbrochen auf die Schenkel. Komödie ist die Urform des Theaters. Die Überhöhung des Dramas. Sie hat ein paar ärmere Verwandte, die Satire, die Farce, den Schwank. Alles hat seine Berechtigung. Aber die Komödie arbeitet am meisten mit der Wirklichkeit, sie muss aus dem Leben gegriffen sein, in ihr müssen wir uns wiederfinden und das Lachen ist das beste Lachen was es gibt, nämlich das über uns selbst. Deshalb ist ein historischer Film nicht immer auch ein Film über die Vergangenheit. Die Komödie ist im Übrigen auch das innovativste Genre. Muss sich alle Jahre neu erfinden. Das komische hat eine sehr geringe Halbwertzeit.
Doppelpunkt: Es fällt auf, dass Ihre Helden ziemlich mutlos auftreten...
Haußmann: Danke ja. Feigheit ist eine der häufigsten Eigenschaften deshalb sind alle meine Figuren irgendwie feige. Und keine Helden aus hehren Beweggründen. Sie haben nicht vor, die Welt zu ändern. Das höchste aller Ziele ist irgendwie durchzukommen und zu überleben. Das ist schwierig für einen Typ wie Ludger Fuchs, der konfliktscheu ist und eher inaktiv. Wie die meisten von uns. Unent-schlossen, und im ewigen Versuch unauffällig zu bleiben, nicht gesehen zu werden. In einer Diktatur und im Krieg ist die Camouflage ein sehr privates Mittel im Überlebenskampf. Nicht umsonst war der erste große deutsche Roman ein Schelmenroman. Simplicius cimplicussimus. Ein Held wider Willen, ein Überleber. Jede Gesellschaft baut auf solche Menschen auf und sie sind auch der Stoff aus den Diktaturen sind. Feigheit ist keine schlechte Sache, sie dominiert uns.
Doppelpunkt: War ein Erich Mielke, der Minister für Staatssicherheit, für Sie feige?
Haußmann: Mielke war ein machtgieriger, gefährlicher Mensch mit der Lizenz zur Dummheit. Der Provinz-Nero eines Staates im Staate. Denn das ist jeder Geheimdienst dieser Welt. Er tut schlimme Dinge ist im ewigen Krieg gegen den Feind von innen und außen. Mielke war ein böses Kind mit allen Vollmachten und natürlich fürchtete er das Lachen und damit auch die Komiker. Warum wohl? „Ich liebe euch doch alle", hatte er in der Volkskammer gesagt - und er hat es auch so gemeint.
Doppelpunkt: Wird mit den Tollpatsch-Spitzeln die Stasi nicht verharmlost, die Opfer verhöhnt?
Haußmann: Wie wir zu fühlen und zu leiden haben, ist im Grunde unsere Sache, derer, die es erlebt und erfahren haben. Jede Geschichte ist anders. Und glauben Sie mir, ich kenne einige Oppositionelle die sehr mutig waren und ganz schön leiden mussten. Einige von ihnen haben auch an dieser Komödie mitgewirkt. Mir ist aufgefallen, dass oft die leidvollsten Opfer jene sind, die es nicht miterlebt haben. Der Kampf um die Deutungshoheit findet noch statt. Bei allem Respekt gegen-über Filmen wie „Good bye Lenin" und „Das Leben der Anderen", erfolgreiche und gute Filme, die im Geschichtsunterricht gezeigt werden. Das ist eine reine Sicht des Westens auf die Geschichte, wir können ihnen nicht allein überlassen, zu sagen, wer wir sind und waren.
Doppelpunkt: Wäre „Go Stasi Go" auch ein guter Titel gewesen?
Haußmann: Die Trabi-Komödien fand ich gar nicht so schlecht. Aber was sollte das für ein blöder Titel für meinen Film sein? In diesem Titel stecken zwei Provokationen, das eine ist Stasi, das andere Komödie - und eigentlich passt das nicht zusammen. Weil es das bislang eben noch nicht gab und darüber haben wir, in einem langen Entwicklungsprozess diskutiert. Am Ende gab es keine Alter-native zu diesem Titel und der von Ihnen vorgeschlagene wäre es auch nicht.
Dieter Oßwald

Stand: 24.05.2022

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