Film
 

Mein Vater hätte Proble-me mit einem Coming Out gehabt.

Viggo Mortensen

Viggo Mortensen über sein Regie-Debüt „Falling". Filmstart: 12.8.

Mit "Der Herr der Ringe" gelang Viggo Mortensen, 62, als Aragorn der Durchbruch. Jetzt präsentiert der übercoole Publikumsliebling mit „Falling" sein Regiedebüt nach eigenem Drehbuch: Er spielt den schwulen Sohn, dessen homophober Vater zunehmend dement wird. Drei Oscar-Nominierungen hat er bereits bekommen: für den Mafia-Thriller „Tödliche Versprechen"; für das Hippie-Epos „Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück" sowie das Rassismus-Drama „Green Book". Gleichfalls oscarreif präsentiert sich nun „Falling", ein grandioses Familiendrama der überaus bewegenden Art mit autobiografischen Bezügen. Mit Viggo Mortensen unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald

Doppelpunkt: Herr Mortensen, was hat es mit dem Titel „Falling" auf sich?
Mortensen: Dieses ganze Projekt begann als eine Kurzgeschichte, die ich damals „Falling" genannt hatte. Eigentlich war das nur als Arbeitstitel geplant, aber mir fiel danach keine Alternative ein, die mir besser gefallen hätte. Im Englischen hat das Wort ja etliche Konnotationen: Fall in Love (sich verlieben), Fall from Grace (in Ungnade fallen) oder ganz simpel das physische Hinfallen.
Doppelpunkt: Im Abspann widmen Sie den Film „Für Charles und Walter Mortensen" - wer ist damit gemeint?
Mortensen: Charles und Walter sind meine Brüder. Den Ausschlag für die Geschichte gab die Beerdigung meiner Mutter. Danach habe ich mir Gedanken über meine Kindheit gemacht. „Falling" ist keine autobiografische Geschichte, jedoch habe ich etliche Elemente aus meinem Leben verarbeitet. Weil diese Dinge auch meinen Brüdern vertraut sind, habe ich ihnen den Film gewidmet.
Doppelpunkt: Was war Ihre Absicht?
Mortensen: Mir ging es darum, die Ge-schichte einer Familie zu erzählen. Ich bin überzeugt davon, je spezifischer man die lokalen Details schildert, desto größer ist die Chance, eine universelle Story zu erzählen, mit der das Publikum etwas anfangen kann. Tatsächlich ist die Erfahrung bisheriger Vorstellungen von „Falling", dass Zuschauer ganz unterschiedlicher Herkunft sehr persön-lich auf diese Geschichte reagieren. Für mich war das eine wunderbare Erfahrung, die zeigt, dass der Film funktioniert.
Doppelpunkt: Bieten Regenbogen-Familien die besseren Eltern?
Mortensen: Wenn die gleichgeschlechtliche Familie funktioniert und eine heterosexuelle Familie ihre Probleme hat, heißt das ja nicht, dass ich Regenbogenfamilien als das bessere Modell betrachte. Diese Familie funktioniert nicht besser wegen ihrer sexuellen Orientierung, sondern wegen ihrer menschlichen Qualitäten. Die beiden Väter und ihre Tochter respektieren sich, sie hören einander zu und die Kommunikation klappt. Das ist keine Super-Familie, sondern die leben ganz einfach ganz normal zusammen. Warum sollten schwule Eltern besser sein als andere? Sollen sie einen ausgewählteren Geschmack haben? Sich netter unterhalten? Oder intelligenter sein? Die lieben sich einfach und lassen einander Freiraum. Davon war der Vater von John mit seiner Familie weit entfernt.
Doppelpunkt: Wie hätten Ihre Eltern reagiert, wenn Sie sich als schwul offenbart hätten?
Mortensen: Meiner Mutter hätte es wohl nicht gefallen, aber sie hätte es akzeptiert. Ihr war immer wichtig, dass ich glücklich bin und andere Menschen mit Freundlichkeit behandle. Mein Vater hätte vermutlich größere Schwierigkeiten gehabt, einen schwulen Sohn zu akzeptieren. Aber im Nachhinein lässt sich das nicht eindeutig sagen.
Doppelpunkt: Wie leicht fiel Lance Henriksen als Film-Vater die Rolle des Kotzbrockens?
Mortensen: Lance hatte zunächst Angst vor dieser schwierigen Rolle. Denn er wurde an Dinge aus seiner eigenen Vergangenheit erinnert, denen er sich nun stellen musste. Lance hatte eine sehr schwierige Kindheit. Das Verhältnis zu seinen Eltern war schlecht. Er verließ die Schule, kam in verschiedene Waisenhäuser oder lebte auf der Straße. Im Unterschied zu vielen anderen, wurde Lance dadurch zum Glück nicht zu einem verbitterten Menschen. Anders als seine Figur ist er selbst eine warmherzige und offene Person - aber er musste sich bei der Vorbereitung an Dinge erinnern, die nicht angenehm für ihn waren.
Doppelpunkt: Aktuell gab es Diskussion: Sollten queere Figuren nur von queeren Menschen gespielt werden?
Mortensen: Ich kenne die Diskussion, bin jedoch mit dieser Forderung nicht einverstanden. Natürlich gibt es bestimmte Grenzen. Ich würde naheliegenderweise keinen Afro-Amerikaner spielen, das wäre respektlos und dumm. Aber ich finde nichts Falsches daran, die Rolle eines schwulen Mannes zu übernehmen. Ich glaube nicht, dass ich damit jemanden etwas weggenommen habe. Hätte ich das Gefühl gehabt, die Figur nicht zu verstehen, dann hätte ich sie nicht gespielt. Ich habe immer Respekt vor der Meinung von anderen, aber ich sehe hier kein Problem.
Doppelpunkt: Dass Proktologen nicht nur von Proktologen gespielt werden sollten, zeigen Sie mit der Besetzung von Regisseur David Cronenberg in dieser Rolle...
Mortensen: Zugegebener weise hatte ich keine Ahnung, was David Cronenberg von Proktologie versteht. Aber ich habe ihm diese Rolle ohne jeglichen Zweifel zu jeder Zeit abgenommen. David und ich sind befreundet und wir verstehen uns gut. Ich hätte jedoch nie gedacht, dass er die Figur spielen würde. Du brauchst es nicht als Gefallen zu tun, sagte ich David noch, als ich ihm das Drehbuch gab. Zum Glück hat es ihm gefallen und er sagte zu.
Doppelpunkt: Sie bekam drei Nominierungen für den Oscar. Was halten Sie von den neuen Regeln der Academy, wonach Filme mehr Minderheiten-Themen und Diversität haben müssen, um sich zu qualifizieren?
Mortensen: Die Absicht ist wirklich gut, dafür muss ein Bewusstsein geschaffen werden. Aber ich halte es für einen Fehler, das als feste Vorgaben in die künftigen Regeln zu schreiben. Mir missfällt Aus-schluss in jeglicher Art, für mich bedeutet das immer eine Diskriminierung. Ein großartiger Film wie „1917" von Sam Mendes wäre nach den neuen Regeln nicht mehr qualifiziert, das ist doch lächerlich. Hinzu kommt, dass Kultur in der letzten Zeit nicht nur in den USA für die extreme Rechte zu einem Sandsack geworden ist, auf den man gerne einprügelt. Für diese Leute sind solche Vorgaben ein Geschenk: „Seht, wir haben es schon immer gesagt."

Dieter Oßwald

Stand: 27.07.2021

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