Film
 

„Die Zigarre ist sehr wichtig.“

Interview mit Lars Eidinger zu „Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm"
Filmstart: 20.9.

Er studierte mit Nina Hoss, Devid Striesow und Fritzi Haberlandt an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Danach wechselte Lars Eidinger zum Ensemble der Berliner Schaubühne. Mit dem Beziehungsdrama „Alle anderen" von Maren Ade folgte 2009 sein Durchbruch im Kino. Neben mehreren Auftritten im „Tatort" und „Polizeiruf" sowie zuletzt dem Fernsehspiel „Terror - Ihr Urteil". Zu seinen Kinofilmen gehören „Was bleibt" von Hans-Christian Schmid, „Die Wolken von Sils Marie" mit Kristen Stewart und „Die Blumen von gestern" von Chris Kraus. Nun gibt Eidinger den Brecht in „Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm". Mit dem Schauspieler unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Herr Eidinger, wie viel Eidinger steckt in Brecht?
Eidinger: Fassbinder sagte, vielleicht sei das Leben die größere Lüge als der Film. Letztlich ist die Fiktion ja auch Teil der Realität, das heißt, in dem Moment, in dem ich mich in die Fiktion begebe, wird es zu meiner Wirklichkeit. Man sieht mich den Brecht spielen, zugleich geht der Film offensiv mit dem spielerischen Moment um. Ich werde nicht zu dem Brecht, imitiere ihn auch nicht. Sondern man sieht immer einen Schauspieler, der sich an einer großen Persönlichkeit abarbeitet. Trotzdem versucht man, diesen Geist von Brecht aufleben zu lassen.
Doppelpunkt: Am Ende des Films hört man Brecht im Original mit Augsburger Dialekt. Gab es nie die Überlegung, in diesem Dialekt zu sprechen?
Eidinger: Die Überlegung gab es, aber ich habe den Schwanz eingezogen, weil ich gedacht habe, ich mache mich dann so angreifbar allen gegenüber, die diesen Dialekt sprechen. Wenn mir als Berliner jemand einen Berliner Dialekt verkaufen will, glaube ich das auch nicht. Letztlich geht es darum aber gar nicht, ich sehe ja auch nicht aus wie der Brecht. Der Film ist kein Biopic! Man hat nicht das Gefühl, man solle glauben, die Figur auf der Leinwand wäre tatsächlich Bertolt Brecht. Es ist eine Interpretation dieser Figur.
Doppelpunkt: Fast in jeder Szene sieht man Sie eine Zigarre paffen. Wie groß war der Tabakkonsum für diese Rolle?
Eidinger: Die Zigarre ist ziemlich wichtig, schließlich gibt es kaum eine Bild von Brecht, auf dem er nicht eine Zigarre in der Hand hält. Zunächst wurden für die Produktion 30 Zigarren angeschafft, die aufwändig in Amerika bestellt werden mussten, weil es bei uns solche nikotin- und tabakfreien Zigarren gar nicht gibt. Am Ende habe ich pro Drehtag zehn Zigarren verbraucht – jede zum Stückpreis von 20 Euro! Ein also gar nicht so geringer Posten im Budget.
Doppelpunkt: Was würde Brecht in der heutigen Zeit machen?
Eidinger: Ich glaube, Brecht würde uns alle wieder überraschen. Das ist ja auch Thema des Films, wo eine Produktionsfirma glaubt, sich dieses Phänomen Brecht greifen zu können. Worauf er sich natürlich überhaupt nicht einlässt, sondern bei der Verfilmung seines Stückes alles ganz anders machen will. Dieses große Credo von Brecht, die Widersprüche sind unsere Hoffnungen, kann man ja auf alles übertragen. Jemand der den Kommunismus preist und auf der anderen Seite Werbung für eine große Automarke macht, lebt das Aushalten von Widersprüchen ja pragmatisch vor.
Doppelpunkt: Sehen Sie jemanden, der in die Fußstapfen von Brecht treten könnte?
Eidinger: Nein, ich sehe niemanden, der ein Nachfolger von Brecht wäre. Aber das ist auch nicht so schlimm. Ich finde es eher kurios, wie leichtfertig man mit Superlativen wie „genialisch" umgeht. Ein Genie gibt es eben nur alle hundert Jahre einmal. Brecht war so ein Genie - und irgendwann kommt sicher ein anderes.
Doppelpunkt: Was haben Sie durch den Film neu an Brecht entdeckt?
Eidinger: Überrascht war ich vor allem, wie wichtig Freundlichkeit für Brecht gewesen ist. Bei einem großen Provokateur erwartet man nicht unbedingt, dass es dessen größter Anspruch war, freundlich zu sein. Ich kenne es von Intellektuellen und von mir selbst, je mehr man weiß und je älter man wird, desto mehr verachtet man sich und sein Umfeld und wird immer mehr zum Zyniker. Dass jemand, der die Gesellschaft so genau durchschaut, diese Großzügigkeit und Menschenliebe entwickelt, imponiert mir. Brecht hat seinen Mackie Messer genauso geliebt wie die Polly oder den Peachum.
Doppelpunkt: Wie groß ist die Gefahr von Übertreibung bei so einer Rolle?
Eidinger: Bei Klaus Kinski sieht man, dass over acting ja durchaus stimmig sein kann. Man muss sich eher von einem Anspruch an Logik verabschieden. Brecht sagte, gerade in der Künstlichkeit liege vielleicht eine Wahrheit. Damit kann ich was anfangen.
Doppelpunkt: Sie gelten als Liebling des Feuilletons. Träumen Sie bisweilen von Honoraren eines Elyas M'Barek oder Matthias Schweighöfer?
Eidinger: Nein. Ich fühle mich gerade sehr verwöhnt und privilegiert, was die Bezahlung angeht. Mir wird immer deutlicher, dass dieser Beruf mit einer gewissen Ungerechtigkeit einhergeht. Die einen sind gut im Geschäft und andere gar nicht. Die einen bekommen überhaupt keine Drehbücher, die anderen kommen gar nicht nach mit dem Lesen. Aber glücklicher wird man dadurch auch nicht. Und diese Erkenntnis finde ich beruhigend, dass Erfolg nicht glücksverheissend ist.
Doppelpunkt: Wäre „Tatort"-Kommissar eine reizvolle Rolle für Sie?
Eidinger: Nein, das schauen zu viele Leute. Das prägt einen zu sehr als Schauspieler. Wenn mich Millionen von Zuschauern im Fernsehen im „Tatort" sehen, dann weiß ich einfach, dass ich ab diesem Moment nicht mehr der Hamlet auf der Bühne bin. Sondern dann bin ich der „Tatort"-Kommissar, der als Hamlet auftritt.
Doppelpunkt: Was würden Sie Brecht fragen, wenn er jetzt durch die Türe käme?
Eidinger: Ich würde Brecht fragen, ob ihn das nicht auch frustriert, dass selbst wenn man gesellschaftliche Phänomene durchschaut und reflektiert, man keinen Einfluss auf die Entwicklung hat. Das ist etwas, das mir am meisten zu denken gibt: Jemand der alles vorausgesehen hat, konnte dennoch nichts verändern. Warum gibt es keinen Erkenntnisgewinn? Warum wiederholt sich Geschichte immer wieder?

Dieter Oßwald

Stand: 10.09.2018

Weitere Beiträge in dieser Rubrik

Termine

April / Mai
Mo Di Mi Do Fr Sa So
  16 17 18 19 20 21
22 23 24 25 26 27 28
29 30 01 02 03 04 05
06 07 08 09 10 11 12
13 14 15 16 17 18 19
heute / Vorschau

Video der Woche

Der Alternative-Country-Musiker David Eugene Edwards wandelt auf Solo-Pfaden und bringt am 16.4. mystischen Folk ins E-Werk.

myDoppelpunkt

Bitte beachten sie unsere Datenschutzbestimmungen