"Ein Liebesbrief an Tokio mit einem Kirschblütenkuss"
veröffentlicht am 16.11.2025 | Lesezeit: ca. 6 Min.
Oscar-Gewinner Brendan Fraser zur Dramödie „Rental Family“
Mit der Komödie „Airheads“ begann 1994 die Karriere des Kanadiers. Der Durchbruch folgte als Höhlenmensch in „Steinzeit Junior“. Zum Kassenschlager avancierte das Fantasy-Spektakel „Die Mumie“, die zwei Fortsetzungen fand. Dass er auch anders kann, bewies Fraser 1997 an der Seite von Ian McKellen in „Gods and Monsters“, wo er den gutaussehenden Gärtner des schwulen Horrorfilm-Regisseurs James Whale verkörpert. Zum Skandal gerieten die Vorwürfe des Schauspielers, der Präsident der Hollywood Foreign Press Association hätte ihn 2003 sexuell genötigt. Durch die Scheidung und den Tod seiner Mutter geriet Fraser in eine Depression. Mit dem Drama „The Whale“ folgte ein triumphales Comeback, inklusive Oscar. Nun spielt Fraser einen arbeitslosen Schauspieler in Tokio, den man als Familienersatz anheuern kann. Wir sprachen mit dem Schauspieler auf dem Filmfestival London.
Doppelpunkt: Mr. Fraser, wann waren Sie zum letzten Mal einsam?
Fraser: Morgens. Meine Eier kamen zu spät.
Doppelpunkt: Es gibt diese Szene, in der Ihre Figur Zahnpasta-Reklame macht. Haben Sie selbst jemals Werbung gemacht?
Fraser: In den 1990er-Jahren war es ein gut gehütetes Geheimnis, dass Schauspieler in anderen Ländern mit Werbung schnell viel Geld verdienen konnten. Whiskey, Bier, Autos. Arnold Schwarzenegger hat es ja vorgemacht. Als ich zu Beginn meiner Karriere etwas Geld gut gebrauchen konnte, gab es diesen japanischen Blue-Jeans-Hersteller, der mich dafür bezahlte, dass ich ein Foto mit seinen Jeans machte. So etwas war nur in Japan möglich.
Doppelpunkt: Sie haben für die Rolle sogar japanisch gelernt. Wie gut klappt die Unterhaltung ?
Fraser: Meine Muttersprache ist Englisch. Ich habe aus der Schulzeit noch ein paar schlechte Französischkenntnisse. Eine Sprache wie Japanisch zu lernen, ist schon eine ziemliche Herausforderung. Ich kann nicht behaupten, dass ich diese Sprache beherrsche. Aber ich kann zumindest so tun, als würde jemand aus dem Westen Japanisch sprechen. Dafür bekam ich viel Hilfe von meinen Tutoren. Selbst meine junge Filmpartnerin Shannon hat mir geholfen.
Doppelpunkt: Wie kamen Sie mit den unterschiedlichen Kulturen zurecht?
Fraser: Kulturunterschiede machen diesen Film aus. Philipp ist ein Fisch aus dem Wasser. Er ist ein seltsamer Mann in einem seltsamen Land. Sein größtes Problem sind die Emotionen. Gefühle sind für viele Menschen in dieser Gesellschaft häufig problematisch, wie in jeder Metropole dieser Welt. Für mich ist dieser Film von Regisseurin Hikari ein Liebesbrief an Tokio. Er ist an die Einsamkeit adressiert. Und sie unterschreibt ihn mit einem Kirschblütenkuss.
Doppelpunkt: Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?
Fraser: Ich wollte einen Film machen, der einzigartig aussah und etwas anderes bot, als normalerweise von mir erwartet wird. Es fühlte sich an, als würde ich auf eine Reise gehen. Eine Geschichte wie diese wurde noch nicht häufig erzählt, abgesehen von einigen Artikeln oder Dokumentationen. Die sind alle sehr gut, waren jedoch nicht jene Story, die wir erzählen wollten. Schon bei meiner ersten Begegnung mit Regisseurin Hikari wurde uns klar, dass wir sehr viel gemeinsam hatten und eine ziemlich ähnliche Sicht davon, worum es in diesem Projekt gehen sollte.
Doppelpunkt: Werner Herzog hat vor acht Jahren einen Film mit einem ähnlichen Thema gemacht, mit dem Titel „Family Romance, LLC“. Haben Sie den gesehen?
Fraser: Nein. Vielleicht schaue ich ihn mir jetzt an, nachdem unser Film fertig ist.
Doppelpunkt: Es gibt viele Großaufnahmen von Ihrem Gesicht, das wie eine emotionale Landkarte wirkt. Was denken Sie in solchen Momenten beim Dreh?
Fraser: Das hängt immer von der Szene ab. Letztlich gehört das einfach zum Schauspielberuf dazu. Das Publikum muss gar nicht alles wissen, wer will schon wissen, wie die Wurst gemacht wird? Die Zuschauer wollen eine Darbietung sehen. Bei Großaufnahmen halte ich mich an den Ratschlag, den mir Michael Caine einmal gab: Weniger ist mehr!
Doppelpunkt: Welchen Einfluss hatte der Oscar auf Ihre Karriere?
Fraser: Der Erfolg von „The Whale“ hat geholfen, „Rental Family“ zu machen. Ich meine das ganz ehrlich: Heutzutage ist es schwierig, Projekte zu finanzieren. Die Filmindustrie befindet sich in einer seltsamen Situation. Es stellt sich die Frage, ob Konsumenten nur noch auf die Bildschirme ihrer Smartphones oder Laptops starren oder ob wir versuchen, wieder ins Kino zu gehen und gemeinsam etwas zu erleben. Für mich bietet „Rental Family“ genau diese Möglichkeit. Das ist nicht nur ein Film, sondern das ist Kino!
Doppelpunkt: Wenn Sie die Wahl hätten: Japan oder USA?
Fraser: Ich liebe beide. Es gibt diese Liebesbeziehung zwischen den Kulturen. Im Westen gibt es so viel Liebe für den Osten und umgekehrt. Am Ende ist es schön, sich überall zu Hause zu fühlen. Meine vier Monate in Japan haben mich verändert. Ich habe eine tiefere Wertschätzung für Sicherheit, Gerechtigkeit und eine funktionierende Gesellschaft gewonnen. Und als Optimist schaue ich immer auf das Positive. Das hat Japan in mir bestärkt.
Doppelpunkt: Was hat Sie bei der Begegnung mit den Japanern am meisten beeindruckt?
Fraser: Dieses Gefühl von Freundschaft. Wenn du dich verabschiedest, ist es nicht ungewöhnlich, dass man dich so lange beobachtet, bis du verschwunden bist. Ob am Flughafen, im Aufzug oder im Auto, sie schauen dir nach, bis du nicht mehr zu sehen bist. Es ist eine Form von Freundlichkeit, eine stille Geste des Dabeiseins. Ich versuche jetzt, mir das selbst anzueignen. Als ich nach Hause kam, hatte ich das Gefühl, wir wissen gar nicht mehr, wie man richtig isst! In Japan kann man kein schlechtes Essen bekommen. Es ist ein wunderbares Land, um gut zu essen.
Dieter Oßwald