Film
 

„Das Glück mag keine Zukunftspläne“

Doris Dörrie

Interview mit Doris Dörrie  zu „Glück" - Filmstart: 23.2.

Mit „Männer" gelang ihr vor über 20 Jahren der Durchbruch. Danach drehte Doris Dörrie clevere Komödien wie „Ich und er", „Keiner liebt mich", „Nackt" oder „Bin ich schön?" und wurde zur erfolgreichsten Regisseurin der Republik. Nach dem bewegenden Drama „Kirschblüten – Hanami" und der komischen „Friseuse" folgt nun als Liebesgeschichte die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Ferdinand von Schirach. Mit der Regisseurin unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Sie sind mit „Glück" bereits zum dritten Mal auf der Berlinale – wird der Festival-Auftritt langsam zur Routine?
Dörrie: Routine ist das sicher nicht, dafür ist dieses Festival ein viel zu schönes Erlebnis. Meine Erfahrungen mit „Kirschblüten" und der „Friseuse" waren überwältigend, deswegen freut mich umso mehr, dass ich erneut auf das Festival eingeladen wurde. Zumal ein Film, der in Berlin gedreht wurde und eine Berliner Geschichte erzählt, ja ganz gut auf eine Berlinale passt.
Doppelpunkt: Nicht nur auf der Berlinale geht Angelina Jolie mit ihrem bosnischen Liebesdrama ins Rennen, auch im deutschen Kino starten Sie beide zeitgleich – fürchten Sie die Frauen-Konkurrenz aus Hollywood?
Dörrie: Konkurrenz mit Angelina Jolie fürchte ich überhaupt nicht. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Filme, allein schon deshalb, weil ich in „Glück" historische Bezüge bewusst vermeide. Bei mir geht es nicht konkret um Bosnien, sondern um einen nicht näher definierten Kriegskonflikt in Osteuropa.
Doppelpunkt: Das Thema Glück scheint angesagt wie nie, woher rührt dieser Boom nach Sinnsuche?
Dörrie: Anscheinend empfinden wir uns als unglücklich, sonst würden wir nicht so viel über das Glück reden. Das war auch ein Grund, weshalb ich diesen Film machen wollte. Hier haben wir es mit wirklich unglücklichen Menschen zu tun. Irina hat als echtes Opfer jeden Grund, unglücklich zu sein. Aber sie entscheidet sich für das Glück ....
Doppelpunkt: Über das  Glück gibt es jede Menge Redensarten und Zitate – welches ist Ihr persönlicher Favorit?
Dörrie: Mit „Verweile doch, du bist so schön" von Goethe gibt es kein Vertun. Vergangenheit und Zukunft sind die größten Feinde des Glücks. Statt zu denken: ‚Wenn ich das noch erreiche! Wenn ich das noch besitze, dann bin ich glücklich!', sollte man lieber lernen, den Augenblick als wunderbaren Moment zu erkennen und zu genießen. Denn Glück mag keine Zukunftspläne. Glück ist immer der Augenblick „jetzt". Der Moment, der jetzt passiert und den man mit allen seinen Sinnen versuchen sollte, wahrzunehmen
Doppelpunkt: Wenn Glück nur in Momenten messbar ist, wie viele Glücksmomente umfasst dann Ihr Leben?
Dörrie: Mein Leben findet ja nur in diesem Moment statt. Wenn ich ihn verpasse, verpasse ich mein Leben. Achtsam mit jedem Moment umzugehen und ihm eine Chance für das Glück zu geben, ist Übungssache. Das trainiere ich mit mehr oder weniger Erfolg. Gestern hatte ich zum Beispiel einen Tag, da war ich sehr im Stress. Plötzlich sehe ich zwei Amseln, die in einem Brunnen baden und ein Eichhörnchen schaut ihnen dabei zu – das war ein vollkommen magischer Augenblick, aber ich musste mich zwingen, stehen zu bleiben, und diesem Augenblick eine Chance zu geben, in meinem Leben anzukommen.
Doppelpunkt: Sind nachdenkliche Menschen weniger glücklich als andere?
Dörrie: Der Kopf ist sicherlich auch der Feind des Glücks. Glücklich sind wir, wenn wir hochkonzentriert und selbstvergessen sind, sei es beim Spielen, beim Skifahren oder beim Sex. Das Problem liegt immer darin, den Kopf abzuschalten. Das gilt übrigens nicht nur für das Glück, sondern auch für die Schmerzen, die zum großen Teil ebenfalls im Kopf stattfinden.
Doppelpunkt: Halten Sie die ganzen Glücks-Ratgeber für nützlich?
Dörrie: Das weiß ich nicht. Eigentlich bräuchte man nur ein großes Stopp-Schild, damit man öfters einmal in seinem Leben anhält.
Doppelpunkt: Ihr Held erbringt einen ziemlich blutigen Liebesbeweis – würden Sie ähnlich handeln und bis an diese Grenzen gehen?
Dörrie: Diese Frage kann man wohl erst beantworten, wenn tatsächlich ein toter Mann im Wohnzimmer liegt. (lacht). Aus meiner eigenen Vergangenheit weiß ich allerdings, dass ich ziemlich radikal bin und sehr weit gehe – nicht selten auch unvernünftig weit
Doppelpunkt: Wenngleich kein Verbrechen begangen wird: So blutig wie diesmal ging es bei Ihnen noch nie zu – wie viel Spaß haben die Grusel-Einlagen gemacht?
Dörrie: Herzblut wurde bei mir schon immer vergossen, aber stimmt: Reales Blut gab es bislang so gut wie nie. Solche Gruselszenen machen in der Herstellung großen Spaß, die sind auch ziemlich einfach zu inszenieren. Als Regisseurin hat man wenig zu tun, die ganze Bastelarbeit übernehmen die Spezialisten – und die Jungs sind beim Basteln natürlich selig. Es bisschen ist es wie Kindergarten: Der Barbie-Puppe die Beine absägen und Ketchup darüber kippen!
Doppelpunkt: Die meisten Zuschauer werden bei diesen kurzen Sequenzen wohl lieber die Augen zumachen...
Dörrie: Das kann ich gut verstehen, ich selbst verkrafte gar nichts im Kino. Ich muss bereits bei einer Spritze wegschauen, weil es mir körperlich weh tut. Die Frage war: Wie viel muss ich zeigen, damit der Schmerz klar wird und worauf kann ich verzichten. Meine erste Versuchung war natürlich, das hinter verschlossenen Türen zu erledigen. Aber das wäre für diese Geschichte nicht stimmig. Man muss spüren, was diese Tat für den Helden bedeutet. Die Szene ist kurz, aber nicht schmerzlos.
Doppelpunkt: Wir glaubhaft ist das Verhalten Ihrer Heldin, die gleich nach einer Vergewaltigung auf dem Straßenstrich arbeitet?
Dörrie: Das ist ja die Realität und funktioniert nur deshalb, weil es durch das Trauma eine komplette Ablösung vom eigenen Körper gibt: Irina spürt sich nicht mehr. Sie kann den psychischen Schmerz nur verdrängen, indem sie sich mit einer Nadel selbst verletzt und dadurch körperliche Schmerzen zufügt. Das ist eine sehr weibliche Reaktion: Frauen tragen, oft aus Höflichkeit, ihre großen Verletzungen nur wenig nach außen. Stattdessen wird eine Fassade aufrechterhalten, damit man funktioniert.
Doppelpunkt: Ist die Arbeit für Sie mittlerweile einfacher geworden oder schwieriger?
Dörrie: Ich habe vor zehn Jahren mit „Erleuchtung garantiert" mein glücklich machendes System gefunden. Statt auf die klassische Weise drehe ich mittlerweile auf eine technisch reduzierte Art. Das eröffnet ganz neue Freiheiten und lässt mir viel mehr Zeit für die Schauspieler.
Doppelpunkt: Zum reduzierten Stil gehört das Drehen auf der Straße mit kleinem Team?
Dörrie: Es ist spannend, auf die Straße zu gehen und das wirkliche Leben mit Fiktionen zu verbinden. Durch diese Art zu drehen bekomme ich Zufälle geschenkt, die ich sonst nicht einbauen könnte, weil das Procedere viel zu träge und langsam ist. Deswegen sind die Passanten der Straßenszenen alle authentisch. Natürlich haben wir sie anschließend immer um eine Drehgenehmigung gebeten, was völlig problemlos funktionierte, denn der Berliner ist erstaunlich großzügig.
Doppelpunkt: Als erfolgreiche Regisseurin stehen Sie hierzulande relativ einsam da. Auch international ist der Frauenanteil auf dem Regiestuhl auffallend gering – woran liegt das?
Dörrie: In der Oper ist es noch viel schlimmer. Nach Lina Wertmüller war ich die zweite Frau, die je am Münchner Nationaltheater inszenierte. Immerhin ist das Fernsehen inzwischen immer mehr in Frauenhand. Es ist weiterhin schwierig, Regie und Kinder zu verbinden. Da ist Schreiben einfacher. Um Filme zu machen, muss man schon sehr, sehr stur sein.

Dieter Oßwald

Stand: 16.02.2012

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