Film
 

„Es wird immer schwerer, ein würdiges Leben zu leben.“

Ken Loach

Interview mit Ken Loach  zu „Angel's Share – Ein Schluck für die Engel" - Filmstart: 18.10. - 

Seine Filme sorgten für Parlamentsdebatten. Und sie gewannen Gold in Cannes, Venedig und Berlin. Ken Loach (76), erklärter Linker und einstiges Mitglied der „angry young men" der britischen Kinoszene, hat in seinen über fünfzig Filme stets die kleinen Leute im Blick.. Nach Sozialdramen wie „Riff-Raff", „Raining Stones" oder „Looking for Eric" mit Fußball-Legende Eric Cantona präsentiert er der Altmeister mit „Angel's Share" nun eine erstaunlich heitere Komödie um Kleinganoven, die ein Fässchen sündhaft teuren Whisky stehlen. Mit dem Regisseur unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Die heitere Leichtigkeit dieser Komödie überrascht - ist Ihre Wut über die Ungerechtigkeiten dieser Welt verzogen?
Loach: Der Film wirkt heiter, weil die Verantwortlichen für Krise und Arbeitslosigkeit hier gar nicht vorkommen. Die Schurken fehlen auf der Leinwand, schließlich kann man nicht jede Geschichte so hindrehen, dass stets die Bösen vorkommen. Banken und Konzerne lassen sich auch zwischen den Zeilen unterbringen.
Doppelpunkt: Wer genau sind diese „Bösen" für Sie?
Loach: Die Bösen sind die Leute, die das Kapital kontrollieren, die Macht in den großen Konzernen und den Banken besitzen. Und es sind die Politiker, die deren Interessen vertreten und unser System zu ihren Gunsten manipulieren. Es ist doch völlig verrückt, wie sehr dieser Planet zerstört und Rohstoffe verschwendet werden und dazu ein Fünftel der europäischen Jugendlichen arbeitslos ist.
Doppelpunkt: Wie optimistisch sehen Sie die Chancen auf eine Verbesserung der Lage?
Loach: Bevor es politische Veränderungen geben kann, bedarf es einer Bewegung, die solche Veränderungen artikuliert und einfordert. Es gibt zwar machtvolle Proteste auf der Straße wie etwa Occupy, aber es fehlt eine politische Organisation, die Forderungen stellt. Das wäre für mich die notwendige Basis, um optimistischer in die Zukunft zu blicken.
Doppelpunkt: Zu Ihrer Generation der einst jungen Wilden gehören Stephen Frears oder Mike Leigh - sehen Sie heute einen Mangel an wütenden Regisseuren?
Loach: Keineswegs, es gibt viele junge Regisseure, die sich Gedanken um unsere Welt machen, die viel lieber wichtige Geschichten erzählen wollen statt sich in hübsche Fluchtwelten zu verabschieden. Dass es diese Filme kaum zu sehen nicht gibt, liegt nicht an den fehlenden Talenten, sondern vor allem am fehlenden Geld, um sie zu produzieren.
Doppelpunkt: Zurück zur Heiterkeit: Warum haben Sie sich für diesen Stoff für die Form der  Komödie entschieden?
Loach: Der Film beginnt bewusst sehr ernsthaft und wird im weiteren Verlauf immer leichter. Das entspricht dem Gemütszustand unserer Helden: Je mehr sie sich für die Kunst der Whisky-Herstellung begeistern, desto fröhlicher gerät die Geschichte. Dass man nicht unbedingt eine Komödie von mir erwartet, macht die Sache ja gerade erst recht reizvoll.
Doppelpunkt: Bedarf eine Komödie einer anderen Inszenierung als ein Drama?
Loach: Nein, der Arbeitsprozess ist ziemlich ähnlich. Unsere Komik entsteht ja nicht aus Slapstick, sondern aus dem Verhalten der Akteure und aus Missverständnissen, die daraus resultieren. Es gibt ja auch durchaus einige düstere Momente in dem Film. Der Schlüssel liegt immer in der Wahrhaftigkeit. Wenn im realen Leben etwas lustig ist, dann wirkt es auch auf der Leinwand komisch. Und umgekehrt sind traurige Dinge aus der Wirklichkeit auch im Kino traurig.
Doppelpunkt: Macht eine Komödie mehr Spaß beim Drehen?
Loach: Filme machen ist immer harte Arbeit. Man wacht morgens schweißgebadet auf und denkt: ‚Werde ich gut durch den heutigen Tag kommen? Werden wir unser Ziel erreichen?'. Ein Teil der Arbeit eines Regisseurs ist es, diese innere Panik zu verbergen, denn davon sollte das Team möglichst nichts mitbekommen.
Doppelpunkt: Warum engagieren Sie so gerne Laien als Schauspieler?
Loach: Ich möchte ganz einfach die besten Leute für die Rolle finden. Ob es sich dabei um ausgebildete Schauspieler oder Laien handelt ist dann nicht mehr wichtig. Entscheidend ist, ob die Figuren mit dieser Besetzung glaubhaft wirken und ob die Zuschauer diesen Darstellern bei ihrer Entwicklung gerne zuschauen. Oft bringen meine Darsteller private Gegenstände mit, die wir dann als Requisiten einsetzten. Solche Kleinigkeiten können eine enorme Wirkung für die Atmosphäre haben.
Doppelpunkt: Wie weit verstehen Sie den Whisky als Metapher?
Loach: Über Metaphern zu reden wirkt schnell prätentiös, das möchte ich lieber den Zuschauern überlassen. Bei „Kes" wurde damals der Vogel als Metapher für die Freiheit beschrieben, die der junge Held nie haben konnte. Wir selbst hatten das eigentlich so nie vorgesehen, aber das Publikum hat es so verstanden.
Doppelpunkt: Ist Angel's Share eine Art von Update von „Kes"?
Loach: Ich verstehe den Film nicht unbedingt als eine neue Version von „Kes", allerdings gibt es natürlich thematische Ähnlichkeiten. Mehr denn je gilt, dass wir in einem System leben, in dem es für immer mehr Menschen immer schwerer wird, ein würdiges Leben zu leben.
Doppelpunkt: Ihre Helden finden immerhin ihr kleines Glück und eine Perspektive: Einer wird es wohl sogar zum Kleinunternehmer bringen. Wie zukunftsträchtig ist dieses Happy-End?
Loach: Man darf sich da keiner Illusionen hingeben: Drei unsere vier Helden werden das gewonnene Geld sicher einfach nur verjubeln und anschließend wieder ihr altes Leben weiterführen. (lacht)
Doppelpunkt: Sind Sie auch privat ein Whisky-Liebhaber?
Loach: Nein, das ganze Whisky-Wissen im Film stammt von meinem langjährigen Drehbuchautoren Paul Laverty. Ich selbst bin überhaupt kein großer Whisky-Trinker. Was ich durch den Film aber gelernt habe ist, dass man vor dem Trinken bewusst am Glas riechen sollte, um diesen besonderen Geruch wahrzunehmen. Es geht nicht darum, sich den Whisky schnell hinter die Binde zu kippen, sondern diese ganzen Nuancen der Aromen zu genießen.

Dieter Oßwald

Stand: 11.10.2012

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