Film
 

„Dogma war ein alter Hut geworden."

Thomas Vinterberg

Interview mit „Dogma"-Miterfinder Thomas Vinterberg zu „Am grünen Rand der Welt"- Filmstart: 16.7.

Gemeinsam mit seinem dänischen Landsmann Lars von Trier gehört Thomas Vinterberg zu den Verfassern von „Dogma 95", jenem Manifest, das von den Regisseuren verlangt, auf den Einsatz von Kamerastativen oder Licht zugunsten einer unmittelbaren Erzählweise zu verzichten. Nach diesen Regeln drehte er 1998 „Das Fest", der international für Aufsehen sorgte und in Cannes den Jurypreis bekam. Mit Sean Penn und Joaquin Phoenix drehte der Däne „It's All About Love", gefolgt von „Dear Wendy" mit Jamie Bell. Nach einem künstlerischen Reinfall mit „Submarino" vor fünf Jahren erzählte Vinterberg mit „Die Jagd" von einer modernen Hexenjagd auf einen Kindergärtner, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Nun erneut ein Genrewechsel: Mit "Am grünen Rand der Welt" folgt die Adaption eines Klassikers von Tom Hardy. Mit dem Regisseur unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Doppelpunkt: Herr Vinterberg, wie kamen Sie darauf, einen Klassiker von Tom Hardy zu adaptieren?
Vinterberg: Ganz einfach: Man bot mir dieses Projekt an. Mir gefiel das Drehbuch ausgesprochen gut, deshalb habe ich zugesagt. Die Geschichte ist komplex und bietet verschiedene Ebenen, die Figuren sind wunderbar entwickelt, das fand ich reizvoll. Es ist zudem eine Erleichterung, wenn man einen Stoff nicht selbst entwickelt, sondern die Vorgaben von einem anderen Autor nutzen kann. Wenn man sich bei einem Projekt um alles kümmert, bedeutet das immer sehr viel Arbeit.
Doppelpunkt: War solch eine Lovestory eine willkommene Abwechslung zu Ihrem letzten Drama "Die Jagd", das sehr düster ausfiel?
Vinterberg: Für mich war "Die Jagd" keine unangenehme Erfahrung, ganz im Gegenteil. Das Problem liegt weniger am Thema als darin, dass es eine unglaubliche Verantwortung bedeutet, wenn man neben der Regie auch das Drehbuch übernimmt. Jeder Fehler wird einem sofort persönlich angerechnet. Bei einer großen Studio-Verfilmung eines Tom Hardy-Klassikers ist das anders, da ist der Regisseur nur ein Rädchen von vielen. Für mich bedeutete das ein sehr entspanntes Arbeiten.
Doppelpunkt: Wie wichtig ist die Werktreue bei einer Klassiker-Verfilmung?
Vinterberg: Bei einer großartigen Vorlage wie dieser, sehe ich keine Veranlassung, entscheidende Dinge zu verändern. Für mich besteht meine Aufgabe vor allem darin, die Figuren möglichst wahrhaftig in ihrer ganzen Komplexität. darzustellen. Man muss gewissermaßen um die Klischees und Kostüme herumfilmen, damit die Figuren und die Landschaft Raum bekommen, um zu atmen.
Doppelpunkt: Vor 50 Jahren hat John Schlesinger diesen Roman bereits adaptiert – was sagen Sie zu seiner Version?
Vinterberg: Dazu kann ich gar nichts sagen, weil ich seine Verfilmung nie gesehen habe, ich kenne nur die ersten 20 Minuten davon. Ich glaube, man bot mir diesen Film an, gerade weil ich nicht diese Last einer nationalen Literaturerbes mit mir herumschleppe, sondern ganz unbekümmert an diesen Stoff gehen kann.
Doppelpunkt: Worin liegt die besondere Qualität von diesem Roman für Sie?
Vinterberg: Thomas Hardy ist ein sehr visionärer Autor, dessen Bücher unglaublich modern ausfallen, insbesondere was die Darstellung von Frauen anlangt. Er schildert sehr treffend und einfühlsam wie es ist, als Frau stark und unabhängig zu sein und trotz einer Karriere nicht auf ein Liebesleben zu verzichten.
Doppelpunkt: Warum haben Sie sich für Carey Mulligan als Ihre Heldin entschieden?
Vinterberg: Carey bietet diese besondere Mischung aus Stärke, Intelligenz und Verletzlichkeit. Zudem vermag sie eine gewisse Art von Mädchenhaftigkeit auszustrahlen, genau so habe ich mir die Bathsheba Everdene aus dem Roman vorgestellt.
Doppelpunkt: Der Film lebt von großartigen Landschaftsaufnahmen, wie viel Mühe machen solche Tableaus?
Vinterberg: Historische Filme zu drehen ist absolut kein Vergnügen. Man wartet endlos, bis die Kostüme und die ganze Ausstattung drehbereit sind. Matthias Schoenaerts, der unseren Schäfer spielt, hat mir seine Lebensgeschichte mindestens fünfmal erzählt, weil wir einfach immer ewig warten mussten. Umgekehrt bedeutet das, dass man solch Mühen nur auf sich nimmt, wenn man sich wirklich in eine Geschichte verliebt hat, die es wert ist, erzählt zu werden.
Doppelpunkt: Wie lässt man eine ganze Schafherde bei Nacht über eine hohe Klippe in den Tod stürzen?
Vinterberg: Diese Szene war sehr aufwändig. Wir haben mit Puppen gearbeitet und mit Computer-Effekten. Wir mussten die Sequenz an drei verschiedenen Orten filmen, einmal von oben auf den Felsen, dann von unten am Strand. Die ganze Logistik dafür ist alles andere als einfach – aber es hat letztlich dennoch Spaß gemacht. Wenn man die Tiere anschließend verzehrt, darf man sie ja auch lebend von Klippen stürzen! (Lacht)
Doppelpunkt: Da kann man fast froh sein, dass Sie diese Sequenz nicht nach Ihren "Dogma"-Regeln drehen mussten. Wie sehen Sie im Rückblick dieses Konzept, mit dem die Dänen weltberühmt wurden?
Vinterberg: Dogma war der Versuch, Wahrhaftigkeit zu finden. Das Filmemachen sollte von allen künstlichen Dingen befreit werden. Kino sollte so nackt wie möglich stattfinden. Dieses Konzept hatten wir 1998 in Cannes präsentiert und über Nacht wurde Dogma zur großen Mode. Mit diesem Erfolg konnte Dogma nun jedoch nicht mehr als Revolution gegen das konventionelle Kino gelten, denn es wurde selbst zu einer Konvention.
Doppelpunkt: Die Dogma-Revolution fraß ihre Kino-Kinder?
Vinterberg: Dogma war ein alter Hut geworden und wir mussten uns nach neuen Möglichkeiten umschauen, um das Ziel von Wahrhaftigkeit zu erreichen – genau das tue ich seither und versuche mich in ganz unterschiedlichen Genres, um eine gewisse Reinheit zu erzielen.
Doppelpunkt: Wie ernst war Ihnen diese ganze Dogma-Sache denn? Hat Sie der ganze Rummel in Cannes nicht heimlich ziemlich amüsiert?
Vinterberg: Für mich war Dogma eine sehr gesunde Mischung aus unglaublicher Verspieltheit und großer Ernsthaftigkeit. Künstlerisch bot sich da schon eine neue Form von Inspiration - aber natürlich gab es da auch Arroganz und Eitelkeit.
Doppelpunkt: Ist es künstlerisch fatal, gleich zu Beginn der Karriere einen Coup wie mit Dogma zu landen?
Vinterberg: Nach dem „Fest" fühlte ich mich künstlerisch etwas leer. Wir hatten Dogma erfunden und landeten damit gleich einen Volltreffer - aber damit war die Sache eigentlich auch reizlos geworden. Deswegen habe ich mich in ganze andere Gebiete begeben. Das waren irritierende, turbulente und schmerzhafte Erfahrungen. Zugleich war es ein Märchen und ich drehte wertvolle Filme - auch wenn ich mit dieser Meinung allein da stehe.
Doppelpunkt: Sie waren einst der jüngste Absolvent der dänischen Filmhochschule, Ihr Abschlussfilm wurde für den Studenten-Oscar nominiert. Wie kamen Sie zu diesem Beruf?
Vinterberg: Der einzige Grund war, dass ich berühmt werden wollte! (Lacht) Tatsächlich träumen doch viele Teenager davon, einmal berühmt zu werden. Ich war als Jugendlicher sehr schüchtern und hoffte, dass mir das Leben leichter fallen würde, wenn ich bekannt wäre. Mit dem Ruhm hat es dann sehr schnell geklappt, die Erfahrungen waren allerdings eher beängstigend als befreiend.
Doppelpunkt: Was bedeutet Ihnen das Filmemachen?
Vinterberg: Mit dem Filmemachen begann ich bereits mit 16 Jahren, mich faszinierte es, kleine Momente der menschlichen Verletzlichkeit zu finden. Wir alle kennen das Gefühl von Unsicherheit, diese Emotion mit anderen Menschen teilen zu können, ist für mich eine große Befriedigung und bedeutet für zugleich eine mächtige Energie.
Doppelpunkt: Wer sind Ihre Vorbilder, wenn es ums Kino geht?
Vinterberg: Ich war immer besonders begeistert vom fantastischen Hollywood-Kino der Siebziger Jahre. Und ganz speziell auch von Godard und Bergman.
Dieter Oßwald

Stand: 14.07.2015

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